Die Cicadetta sibillae ist eine Zikadenart, die von Kampanien bis in die Südschweiz verbreitet ist. In der Schweiz wurde sie erst 2015 im Rahmen einer von ProNatura in Auftrag gegebenen Zikadenstudie nachgewiesen. Bis heute konnten in der Schweiz insgesamt 10 verschiedene Zikadenarten gezählt werden, darunter auch die Cicadetta sibillae.
Die Populationen dieser Art verteilen sich ausschliesslich auf das Tessin und den italienischsprachigen Teil Graubündens, wobei die geschätzte Gesamtzahl der Individuen zwischen 500 und 1’000 pro Jahr schwankt. Die meisten Kolonien (12) befinden sich in der Gegend von Lugano, weitere 6 im Sopraceneri und Mesolcina und 1 im Mendrisiotto auf dem Monte San Giorgio. Letztere ist auch eine der größten Populationen im gesamten Alpenraum und zählt etwa 200 Individuen pro Jahr.
Aufgrund des allmählichen Verschwindens des für ihre Entwicklung günstigen Lebensraums wurde die Zikade sibillae kürzlich vom Bundesamt für Umwelt auf die Rote Liste der bedrohten Arten in der Schweiz gesetzt. Tatsächlich bevorzugt das Insekt warme, baumlose Gebiete mit nur wenigen spärlichen Büschen als Lebensraum. Dies ist typisch für Bergweiden, deren Bestand durch die fortschreitende Aufgabe der alpinen Landwirtschaft immer mehr zurückgeht. Der sich ausbreitende Wald, der wieder an Boden gewinnt und die Weiden bedeckt, übt einen starken Druck auf die Zykade aus, die deshalb aus dem Schweizer Gebiet zu verschwinden droht.
Im Auftrag des Vereins Mont Blanc, der sich für die Aufwertung der Mesolcina-Landschaft einsetzt, hat Naturnetz die Weide eines örtlichen Landwirts gepflegt, auf der eine der beiden im italienischen Graubünden identifizierten Populationen lebt.
Eine Woche lang arbeiteten fünf Zivilisten unter der Leitung eines Teamleiters des Vereins daran, die zahlreichen Haselnusssträucher, die über die Weide verstreut waren, die Ableger der Kastanienbäume und einige ihrer gefährlichen oder verdorrten Äste zu fällen. Auf diese Weise wurde eine große, karge Fläche geschaffen, wie sie die Zikaden mögen. Das gefällte Holz wurde dann abtransportiert und in großen Stapeln an den Rändern des Gebiets aufgeschichtet, die als Unterschlupf für die kleine lokale Fauna dienen sollen.
Die Steilheit der Weide, die Trockenheit der Wiesen und das viele Laub, das den Boden etwas rutschig machte, machten die Arbeit des Naturnetz-Teams ziemlich anstrengend. Ihre Zufriedenheit war jedoch groß, als sie vom Landwirt und der Stiftung Glückwünsche für ihre Arbeit sowie frische Getränke und einen Imbiss erhielten. In geselliger Runde konnten sie auch mit dem Landwirt plaudern und ihm einige Fragen zur Geschichte des Ortes und zur Bedeutung der Stätte stellen.
Da es noch keine spezifische Literatur über den Lebensraum der Cicadetta sibillae gibt, war das Projekt eine Pionierarbeit, und erst in den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob es die erhofften Auswirkungen hat, d. h. ob die Zahl der in der Mesolcina vorhandenen Zikaden zunimmt.